Rangiermeister, Hemmschuhleger und Ablaufberge

Wie kommt die Erdbeere aus Neuseeland im Dezember bei uns frisch auf den Tisch? Hier steht eine Logistik dahinter, die heute die ganze Welt umspannt. Diese Logistik mit besonderen Lieferketten ist aber auch anfällig, wie wir gerade jetzt in Corona Zeiten erfahren mussten und die Sinnhaftigkeit wird auch immer mehr hinterfragt. Vor 200 Jahren war das undenkbar, aber der Schiffsverkehr spielte schon damals eine große Rolle im Handelsverkehr, auch auf den Binnenflüssen und von Menschenhand gebauten Kanälen. Hier wurden zum Teil Lastenkähne auf dem Wasser mit angeseilten Pferden am Uferrand gezogen. Der Transport auf der Straße war dagegen schwerer. So belieferten Bierbrauereien Kunden nur im Umkreis, wo die schweren Fasswagen diese an einem Tag erreichen konnten. 

 

Güterverkehr mit der neuen Eisenbahn im 19. Jahrhundert

Der Vordenker Friedrich List veröffentlichte bereits 1821 seine Visionen für ein Eisenbahnnetz für ganz Deutschland, das dann mit Gütern auch Städte im Inland im Deutschen Bund von 1815 mit seinen 39 Staaten erreichen konnte. Jahrzehnte später war dieses Netz fast nahezu in seinen Ideen verwirklicht, obwohl wir bis 1871 die Vielstaaterei in Deutschland hatten und mancher Eisenbahnweg die Grenzen eines deutschen Ländles beachten musste.

 

So war auch unsere Köln-Mindener Eisenbahn und deren Streckenführung im Plan von List, der Warenverkehr war erstes Ziel. Die Logistik war am Anfang recht einfach, bei der am 7.Dezember 1835 eröffneten ersten deutschen Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth mit 6 km Länge dachte man nur an den Warenverkehr zwischen den Kaufmannschaften der beiden Städte, die den Bau der Strecke mit Kapital im Aktienkauf ermöglichten. An beiden Endpunkten mussten die Waren auf Pferdefuhrwerke wieder umgeladen werden.

 

So war es dann auch ab 1847 im ersten Löhner Güterbahnhof, der nur Waren von und nach Löhne umschlug. Güter konnten zu Anfang des Eisenbahnbaues zunächst immer nur auf der Hausstrecke befördert werden, erst die Vernetzung ermöglichte dann einen Transport zu Zielbahnhöfen anderer Strecken. 

 

Der Rangierbetrieb von Anfang an

Von Anfang an musste man Waggons rangieren. Rangieren wurde auch der französischen Sprache wie Waggon und Chaussee dem Wort „ranger“ entlehnt, das übersetzt „Aufräumen“ heißt. Eltern könnten so ihre Kinder auch heute noch zum „Rangiermeister“ erklären, nachdem sie das Zimmer aufgeräumt haben. Dieses Rangieren wurde in den Bahnhöfen immer aufwendiger, weil es unzählige Hin- und Herbewegungen brauchte, um die Züge zu trennen und neu zusammen zu stellen. Denn Güter können nicht einfach selbstständig umsteigen wie wir Menschen, man muss sie verladen oder besser den ganzen Waggon verschieben, dessen Ware nur für einen Zielbahnhof bestimmt ist.

 

Ende des 19. Jahrhunderts kam man dann auf die trickreiche Idee, den Zug über einen Ablaufberg zu trennen und die Waggons mit ihrem Eigengewicht in die verschiedenen „Richtungsgleise“ rollen zu lassen, die auch noch ein kleines Gefälle besaßen, damit die Waggons nicht zu schnell zum Stehen kamen oder sogar mit Menschenkraft anschließend zusammengeschoben werden konnten. 

 

Gebremst wurden die zügellosen Waggons durch Bremsschuhe, die der „Hemmschuhleger“ auf eine Schiene legte und die vorlaufende Achse damit zum Stillstand brachten. Das erzeugte dann die lauten Quietschgeräusche im Betrieb und manchmal rummste es, wenn der Waggon nicht früh genug gebremst wurde und auf einen schon stehenden Waggon auflief. Es hing auch vom Gewicht ab, das der Hemmschuhleger mit den Augen nur grob messen konnte. 

 

Der Löhner Rangierbahnhof ab 1916/17 

Dieses Prinzip wurde dann mit dem großen Umbau bis 1916/17 auch in Löhne realisiert, zu gleicher Zeit ab 1900 entstanden auch die großen nächsten Rangierbahnhöfe in Hamm, Osnabrück und Seelze bei Hannover. In Löhne-Ort entstanden bei der Einfahrt aus Herford beginnend in der Falscheide vier zusätzliche „Ausziehgleise“ neben der neuen viergleisigen Hauptstrecke, die zum Schieben der Güterzüge über den Ablaufberg genutzt wurden. Eines davon musste immer frei bleiben, damit die Lokomotiven die Züge umfahren konnten. Je nach Zielbahnhof wurden die Waggons zunächst in ihren Kupplungen entstrafft und die Bremsschläuche auseinander gedreht. So konnten die Waggons von der Seite mit einem langen Holzstab während der langsamen Fahrt von 2,5 km/h vom Rangierer auseinander gekuppelt werden, einzeln oder in Gruppen. Diese liefen in die etwa 25 Richtungsgleise des Löhner Rangierbahnhofes. 

 

Ankommende Güterzüge aus Osnabrück konnten nicht direkt in die Ausziehgleise einfahren, diese Güterzüge wurden komplett dann zunächst in einer der freien Ausziehgleise rangiert. In den Richtungsgleisen wurden die Waggons zum Schluss zusammen geschoben, fest verbunden und konnten direkt als neue Züge zu 25 neuen Zielbahnhöfen in alle vier Hauptrichtungen von Löhne abfahren. 

 

Anfang der 1980er wurde dieser Betrieb überraschend für die Eisenbahner in Löhne fast komplett eingestellt, eine kurze kleinere Neuaktivierung gab es noch einmal 1990 als Knotenbahnhof für Güter der nahen Umgebung, die die gewohnten Quietsch- und Rummsgeräusche wieder lebendig machten. 

 

Ende der 1990er begann der Abbau der meisten Gleise, die per Lkw transportiert als Baugleise der Neubaustrecke Köln – Frankfurt dienten. Nur die Osnabrücker Richtungsgleise und die südlichsten Gleise werden heute noch für ganze Güterzüge zum Zwischenparken und Überholen anderer Züge von der DB Cargo genutzt. 

 

Ausblick 

Die Frage, ob und wie die alte Fläche des Rangierbahnhofes Löhne von Bahn oder auch zum Teil von unserer Stadt in Zukunft genutzt werden kann, steht noch ergebnisoffen im Raum. Die Verkehrspolitik des Bundes spielt in seinem aktuellen Wandel hierbei eine große Rolle. In jedem Fall müssen direkte Gespräche der verantwortlichen Vertreter geführt werden. In der nächsten Folge lesen sie mehr über weitere notwendige Betriebsteile des Löhner Rangierbahnhofes und deren Arbeit, wie zum Beispiel ein „Hotel“ für Eisenbahnpersonal.

Wie bereits in unseren Beiträgen vom

schrieb uns Martin Lorenz seine spannenden Erinnerungen und Recherchen rund um die Geschichte der Gleisanlagen, und des Bahnbetriebs am Bahnhof in Löhne.

An dieser Stelle noch einmal ein recht herzliches Dankeschön an die sehr aufschlussreichen, spannenden und, nicht nur für Geschichtsfreunde, interessanten Geschichten rund um unseren Löhner Bahnhof.

Auch diese Ausführungen möchten wir hier gerne in seinen eigenen Worten veröffentlichen.

Martin Lorenz ist selbst Löhner Bürger, sowie das Kind einer Eisenbahner-Familie, woher unter Anderem auch das Wissen und Interesse bei seinen Recherchen stammen. Außerdem engagiert er sich u.a. für die KULTURBANAUSEN unseres Vereins und ist Kreisposaunenwart im Kirchenkreis Herford.

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